Einzelausstellung
LUIS CASANOVA SOROLLA
Kuratiert von Lucas Gehrmann (Kunsthalle Wien)
Luis Casanova Sorolla, geb. 1984 in Lima/Peru, wird seit Sommer 2014 von der Galerie bäckerstrasse4 vertreten. Die Ausstellung wird kuratiert von Lucas Gehrmann (Kunsthalle Wien) und präsentiert nun erstmals im Zuge einer Soloausstellung Sorollas Arbeiten in der bäckerstrasse4.
Text zur Ausstellung von Lucas Gehrmann
Musik – sie kommt, erfasst uns, selbst wenn wir sie nicht wollen, ergreift uns emotional und doch stets nur temporär. Im Augenblick ihres Erklingens reagieren unser Geist und unser Körper auf sie, beides setzt sich in Bewegung, mal retardierend, mal beschleunigend, die Gliedmaßen erregend, den Körper potenziell in den Raum expandierend. Ist sie ausgeklungen, bleiben uns bruchstückhafte Erinnerungen an das Wahrgenommene, die Emotionen haben eine noch kürzere Halbwertszeit.
Musik, Tanz-Choreografien, Film, Performances ... laufen linear ab und sie laufen ab am Ende ihrer Laufzeit. Was bleibt außer der immer fragmentierten Erinnerung daran? Was zeichnet sich ein in unsere Nervenzellen, was davon ist je wieder abrufbar?
Luis Casanova Sorolla hat mehrere Methoden entwickelt, den Lauf dieser Sensationen so festzuhalten, dass sie unser Erlebnis reaktivieren und – sollten wir nicht vor Ort gewesen sein bei der Aufführung des zu erinnernden Ereignisses – ein solches gar zu evozieren. Sorolla, der bereits im Kindesalter eine Ausbildung in klassischer Malerei in Lima und ab seinem 17. Lebensjahr ein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien absolviert hat, tut dies zum Einen mittels ganz traditioneller künstlerischer Medien: Zeichenkarton, Farbpigmente, Fixativ. Allerdings rührt er weder Farben noch Pinsel an, um seine oft großformatigen Arbeiten zu elaborieren, sondern lässt sie durch Dritte produzieren. Wobei deren einzige „Vorlage“ die Musik ist, manchmal in Verbindung vorgekannter Choreografien (Serie Signapura), manchmal frei improvisatorisch (Serie Improvisationen). Sorollas „Assistenten“ sind Profitänzerinnen und -tänzer, vorzugsweise Koryphäen ihres Fachs, die für ihn solistisch, paarweise oder auch in kleinen Truppen arbeiten. Sorolla wählt sie aus, so wie er die Musik auswählt, nach der sie sich sodann über seine Papierbahnen bewegen und sie dabei strukturieren, indem sie ihre tänzerischen Spuren ziehen auf und durch jene Farbpigment-Schichten, die der Künstler zuvor aufs Papier aufgetragen hat. Im Gegensatz zu den diversen Varianten „informeller“ Malerei kommt die Farbe hier also nicht von „oben“ auf den Bildträger und sie kommt auch nicht aus einer Hand, sondern das Bild entsteht im Prozess der Bewegung einer oder mehrerer menschlicher Körper auf und über dem Farbmittel und dessen Trägermaterial.
Die darauf entstehenden Zeichen, Spuren und Gesten unterliegen keinerlei Steuerung durch den Künstler und auch die Tänzer/innen, die sie produzieren, achten beim Tanz nicht auf das durch sie entstehende Bild, sondern nur auf die Musik, auf ihre eigenen Bewegungen und ihre Partner, so es mehrere sind. Dennoch wirken diese Arbeiten nicht nur frei „gestisch“, sondern desgleichen „komponiert“ – auch wenn die Komposition von ganz woanders her kommt: nicht aus dem Kopf der Maler/innen, sondern aus dem Kopf von womöglich längst verstorbenen Musiker- und Choreograph/innen. Und so schlagen sich in diesen Arbeiten nicht nur mehrere „Handschriften“ nieder, sondern auch mehrere Kunstgattungen. Und für uns Betrachter entsteht eine Sensation, für die es wohl keine treffendere Bezeichnung als die von Matthias Schmidt gefundene gibt: ein visuelles Geräusch.
In Luis Casanova Sorollas erster Einzelausstellung in der Galerie bäckerstrasse4 werden Beispiele seiner Improvisationen und Signapuras (Originale wie auch verkleinerte Farbprints auf Zeichenkarton) Videoaufzeichnungen gegenübergestellt, die den Entstehungsprozess dieser Arbeiten zeigen. Das Aufnahmegerät hing dabei von der Decke, so dass wir die tanzenden „Malenden“ aus ungewohnter Perspektive und zugleich als Bildproduzent/innen während der Arbeit beobachten können – visuell wie auch akustisch.
„In immer neuen Versuchsanordnungen untersucht und dokumentiert Sorolla bewegte Ausdrücke,“ schreibt Gabrielle Cram, „darunter folklorische und/oder klassische bzw. in und über die Hochkultur transportierte Tänze oder Fragmente daraus. Welche unterschiedlichen Funktionen haben diese Tänze und Ausdrücke in ihren Umgebungen, für ihre Gemeinschaften und worin unterscheidet sich eine — wie vom Künstler angebotene — Entschlüsselung über individuelle Interpretationen solch kulturell kodierter Systeme, wie sie Tänze darstellen?“
Es geht dem Künstler also nicht allein um eine gleichsam synästhetische Evozierung von Erinnerung an flüchtige Erlebnisse, Emotionen und Wahrnehmungen, es geht auch um vergleichende Forschung auf verschiedenen Gebieten der Kultur und ihrer Geschichte. Um dies konkreter nachvollziehen zu können, bedürfte es einer weit größer angelegten Ausstellung als es die Räume der Galerie zu leisten vermögen. Immerhin wird hier ein Einblick gewährt in Sorollas „visinvisible diagrams”, ein multimedial angelegtes Langzeit- und Großprojekt, das immer neue Experimentalformen zeigt.